In den vergangenen Monaten wurden zwei Schnüffelwagen, also mobile Überwachungswagen der Berliner Polizei, an sogenannten „kriminalitätsbelasteten Orten“ (kbO) – unter anderem am Weddinger Leopoldplatz – eingesetzt. Nachdem die letzten Monate verstärkt durch eine Law-And-Order-Diskussion über öffentliche Plätze, wie dem Leo sowie dem Moabiter „Kleinen Tiergarten“ geprägt waren, wurden diese beiden Orte ironischerweise am 11. Juni von der Liste der kbO durch die Berliner Polizei gestrichen.
Neben vermehrten verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen und Polizeipräsenz sollte der Schnüffelwagen die vermeintlich allgegenwärtige Kriminalität am Leo zurückdrängen. Als „Hände weg vom Wedding“ haben wir den Wagen kritisch begleitet und gemeinsam mit dem Aktionsbündnis endstation rund um den Leo mit Flyern und Straßenperformances Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Bereits Ende April wurde vom Abgeordneten Niklas Schrader (Die Linke) eine Schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus zum Überwachungswagen gestellt. Die aus der Antwort resultierenden Erkenntnisse sowie unsere Erfahrungen beim Flyerverteilen im Kiez, legen wir hier dar.
Kurz und knackig: Wat sind die Fakten?
Der Schnüffelwagen wurde demnach offiziell sieben mal bis zum 17.04.2018 am Leopoldplatz eingesetzt. Unsere gesammelten Berichte geben ein anderes Bild ab. Nach dieser Chronik wurde er an mindestens 13 Tagen zwischen dem 04.01. und 24.05. auf dem Platz registriert. Bei all diesen Einsätzen soll angeblich lediglich einmal über eine Länge von 13 Minuten (am 26.03.) gefilmt worden sein. Dies geschah wegen eines Verdachts auf Körperverletzungen. In der Antwort wurde jedoch letztendlich keine einzige Straftat am Leo dokumentiert. Während die Polizei Gewalt prognostizierte und dies als Anlass zur Überwachung nahm, bewahrheitete sich diese Annahme nicht.
Vom 16.12.2017 bis zum 17.04.2018 wurde der Schnüffelwagen an insgesamt 42 Tagen an den verschiedenen kbO eingesetzt. Dabei wurden 173 Einsatzstunden aufgewendet und insgesamt 78 Minuten gefilmt. Allerdings wurde nur eine (!) tatsächliche Straftat aufgezeichnet („Handel mit Betäubungsmitteln“ am Bahnhof Warschauer Straße). Trotz dieser Videoaufzeichnung konnten keine Tatverdächtigen ermittelt werden. Der von Polizei und Politik immer wieder propagierte Zusammenhang zwischen Videoüberwachung, der Aufklärung von Straftaten und dem Rückgang dieser kann somit in keinster Weise belegt werden. Videoüberwachung steht somit in keinem Verhältnis zum von der Polizei propagierten Gefahrenpotential. Während sich die Kamera anfangs in der sogenannten „Neutralposition“ befinden soll, wird sie laut Antwort auf die parlamentarische Anfrage auf „verdächtige“ Personen gerichtet und angeschaltet, sobald ein Gefahrenpotential nach dem Berliner „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG)“ vorliege. Wer und was das genau sein soll, liegt meist in der Entscheidungsgewalt der Polizei. [1]
Nachdem der Schnüffelwagen voraussichtlich nicht mehr am Leo eingesetzt wird, war am 13. Juni erstmalig eine der im Juni der Öfffentlichkeit vorgestellten „mobilen Polizeiwachen“ vor Ort. Insgesamt 500.000 Euro sollen die fünf Wachen, ein Polizeiwagen mit ausrollbarer Markise, kosten und für mehr „Sicherheitsgefühl“ sorgen.
Gegenöffentlichkeit schaffen: unsere Erfahrungen
Das Schaffen von Gegenöffentlichkeit im aktuellen, herrschenden Law-and-Order-Diskurs von AfD über CDU bis zum Bezirksbürgermeister von Dassel (Grüne), ist eine Herausforderung. Vor allem die Stigmatisierung von obdachlosen und drogenkonsumierenden Menschen, die sich auf dem Leopoldplatz und am U-Bahnhof aufhalten, wird mit der Präsenz des Schnüffelwagens vorangetrieben. Der Überwachungswagen und verdachtsunabhängige Polizeikontrollen verhindern aktiv Empathie und gesellschaftliche Solidarisierungen gegenüber den im Kapitalismus am stärksten ausgegrenzten Menschen. Dies zeigten die Äußerungen einiger angesprochener Passant*innen. Diese forderten ordnungspolitische Maßnahmen, wie ausgebaute (Video-)Überwachung, Polizeikontrollen und die Vertreibung von jenen Personengruppen, die durch die Polizeipräsenz als scheinbar gefährlich markiert werden. Frei nach der Logik: Je häufiger die Polizei deutliche Präsenz zeigt, umso stärker ist die öffentliche Wahrnehmung des Leopoldplatzes als „gefährlicher Ort“. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die tägliche strukturelle Gewalt und Ausgrenzung in diesem kapitalistischen System, beispielsweise durch das benachbarte Jobcenter, verschwindet hinter der Stigmatisierung der „problematischen Personengruppen“.
Eine wichtige Rolle inm Punkt der Vertreibung der marginalisierten Personengruppen aus dem öffentlichen Bild nimmt dabei die Nazarethkirchgemeinde ein. Diese gestattet der Polizei auf dem halböffentlichen Leopoldplatz die Aufstellung des Wagens. Bereits seit einigen Jahren tun sich Gemeindemitglieder mit sozialchauvinistischen Aktionen und Äußerungen hervor.
Beim häufigen Flyerverteilen trafen wir jedoch auch auf Ablehnung gegenüber dem Ausbau von Überwachungsmethoden. Noch häufiger hingegen begegneten wir Gleichgültigkeit und trafen auf Menschen, die den rechten Sicherheitsdiskurs verinnerlicht haben. Eine häufige Reaktion war: „Ich habe nichts zu verbergen“. Bei Diskussionen mit diesen Personen war es schwer deutlich zu machen, inwieweit Kameraüberwachung das eigene Verhalten unbewusst beeinflussen kann und bspw. gesellschaftliche Widersprüche immer weiter verdrängt. Dabei wurde häufig naiv der Argumentation der Polizei gefolgt, dass diese lediglich für die Sicherheit aller zuständig sei.
Wat nun? Was tun!
Viele Gesprächspartner*innen auf der Straße haben uns gefragt, was wir für Lösungen in Bezug auf soziale und sicherheitspolitische Fragen im Kiez anzubieten hätten. Wir machen deutlich: es gibt keine einfachen Lösungen. Wir müssen sie gemeinsam solidarisch im Kiez entwickeln. Die Menschen, die heute im Kiez als Sicherheitsproblem gelten, sind „Kinder der unsozialen Politik“ von Bund, Land, Kommune und Wirtschaftsunternehmen. Die Schicksale der Menschen hängen direkt mit sozialen Widersprüchen zusammen, die in Zwangsräumungen, Jobcenter-Sanktionen, Verlust der Lohnarbeit, Drogenmissbrauch und vielem mehr im kapitalistischen Alltag begründet sind. Ausgrenzung und Vereinzelung spielen dabei eine wichtige Rolle. Der soziale Abstieg kann jede*n treffen. Dieser kann aufgrund mangelnder sozialpolitischer Netzwerke beschleunigt werden. Diese aufzubauenden Netzwerke können Menschen jedoch in die Lage versetzen, Probleme aufzufangen und politische Kämpfe zu führen. Genau dorthin wollen wir. Wir wollen die Ursachen der gefühlten Unsicherheit und der sozialen Abstiegsangst überwinden; gemeinsam mit vielen solidarischen Menschen, die die Ursachen von Armut und Ausgrenzung bekämpfen wollen. Sicherheitspolitik bedeutet im Sinne der Herrschenden, die Konsequenzen ihrer ausbeuterischen und ausgrenzenden Politik und Wirtschaft aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen – und mit ihnen diejenigen, die aus dem Raster gefallen zu sein scheinen. Der Schnüffelwagen versucht eine Illusion von Sicherheit zu vermitteln, während die gesellschaftlichen Widersprüche mithilfe polizeilicher Präsenz weder gelöst noch „erfolgreich“ verdrängt werden können.
Uns wird eingeredet, wir seien für „Erfolg“ und „Scheitern“ selbst verantwortlich, während sich die vom Kapitalismus Profitierenden hinter der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen verstecken. Um zu einer klaren Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse zu kommen und gemeinschaftlich Perspektiven zu entwickeln, brauchen wir konkrete solidarische Strukturen. Nur durch diese kann das rechte Gerede von Recht und Sicherheit (vor allem für die vom Kapitalismus Profitierenden) durch eine kollektive Perspektive von unten ersetzt werden.
Hände weg vom Wedding im Juli 2018