Am 09.12.19 fand die Zwangsräumung von Gerald in der Soldiner Straße 106 statt. Mehr als 50 solidarische Nachbar*innen fanden sich ab 10 Uhr morgens vor dem Haus ein, um auf die Zwangsräumung und deren Hintergründe aufmerksam zu machen.
Es wurde thematisiert wie die Entmietungsstrategie des Eigentümers Doron Avraham funktioniert. Jahrelang hat Avraham absichtlich notwendige Instandhaltungsarbeiten nicht durchgeführt und seine Häuser systematisch verkommen lassen, um alteingesessene Mieter*innen zu vertreiben.
Gerald – zum Beispiel – wohnte jahrelang ohne nutzbare Dusche und musste seine Körperpflege bei Freunden oder im Schwimmbad erledigen. Die mit der Hausverwaltung ausgemachten Reparaturen wurden nicht umgesetzt. Eine Mietminderung von Gerald führte zu einem längeren Rechtsstreit und war der Auslöser für die Zwangsräumung. Doron Avraham nennt diese Verdrängung selbst „Mieterumbau“. Auf besonders drastische Weise war Gerald schon mehrmals den Schikanen des Eigentümers ausgesetzt. So zum Beispiel am 29. Oktober: da drang Avraham selbst in Geralds Wohnung ein und machte Fotos. Gerald rief die Polizei, welche Avraham und seine Begleiter aus der Wohnung entfernen musste. Jetzt läuft eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
Die Polizei war mit ca. 50 Beamt*innen vor Ort und versperrte die Eingänge zum Haus. Eine Kundgebung vor dem Haus konnte erst nach längerer Diskussion durchgesetzt werden, obwohl sie langfristig angemeldet wurde. Viele Nachbar*innen kamen zur Kundgebung und solidarisierten sich lautstark mit Gerald, der oben in der Wohnung war. Viele Nachbar*innen hatten Töpfe, Pfannen und Schilder mitgebracht. Die Gerichtsvollzieherin drang über einen Seiteneingang in das Haus und wurde von ca. 15 Polizist*innen und Handwerkern begleitet. Gerald übergab die Schlüssel und das Schloss wurde sofort ausgetauscht. Eine Reporterin wurde von der Polizei der Wohnung verwiesen. Nach der Zwangsräumung wurde Gerald unten von den solidarischen Nachbar*innen empfangen.
Nach dem jahrelangen psychischen Stress verliert Gerald nicht nur seine Wohnung, sondern auch sein soziales Umfeld. Er versuchte eine Wohnung in Berlin zu finden, schrieb Bewerbungen über Bewerbungen, bekam aber keine Zusage. Gerald kontaktierte frühzeitig alle Anlaufstellen im Bezirk: ob Jobcenter, Sozialen Wohnhilfe oder Caritas – überall wird er weitergeschickt oder vertröstet. Er klopft auch bei Politiker*innen an die Tür und fordert schließlich mit Aktivist*innen in der BVV die Beschlagnahmung von Wohnungen bei Zwangsräumungen. Dieser Druck führte dazu, dass Gerald eine Woche später zumindest einen Schlafplatz in einem Übergangswohnheim bekommt, wo er sich ein Zimmer teilen muss. Auch dieser Platz ist ihm nicht sicher, er ist also weiterhin von Obdachlosigkeit bedroht.
Zwangsräumungen sind menschenunwürdig und die brutalste Form, wie der Staat Eigentum „schützt“. Es darf keine Normalität sein, dass Menschen wohnungslos werden, um die Kapitalerträge von Eigentümer*innen zu maximieren. Wird eine Wohnung geräumt, wird sie danach oft teuer neu vermietet – das wirkt sich auf den Mietspiegel im ganzen Kiez aus. Betroffen sind wir somit alle!
Während ein Großteil der Berliner Politik lediglich auf die Angebote für Obdachlose verweist, sagen wir: das muss aufhören! Zwangsräumungen müssen der Vergangenheit angehören. Unsere Proteste werden weitergehen. Wir rufen alle Menschen dazu auf, sich solidarisch zu zeigen, unsere Aktionen zu begleiten und selbst aktiv gegen Zwangsräumungen vorzugehen! Keine Ruhe für Entmieter*innen!
Weiter Informationen finden sich unter den Artikeln:
Zwangsräumung als Mittel der Profitsteigerung – Der Fall Gerald:
unverwertbar.org/aktuell/2019/4116/
Versuchte eigenmächtige Zwangsräumung, Schlossaustausch und Hausfriedensbruch im Wedding: unverwertbar.org/aktuell/2019/4027/
Entmietung und Zwangsräumung im Wedding: Doron Avraham: unverwertbar.org/aktuell/2019/3927/