Nicht nur, dass die sogenannen „Klient*innen“ durch weitere Verarmung und soziale Ausgrenzung in eine düstere Zukunft blicken; die lohnabhängigen Sozialarbeiter*innen selbst können nach den nächsten Haushaltsverhandlungen in den jeweiligen Bezirken, Kommunen oder Ländern in existenzielle Not geraten. Die Folgen sind dann: Steigende Arbeitsbelastung im Alltag, Entlassungen, Abbau von Arbeiter*innenrechten, das Erschweren von Betriebsratsarbeit und Aufnahme notwendiger Nebenjobs zur Deckung der steigenden Lebenskosten. Diese möglichen Folgen werden flankiert durch die weiterhin bestehende Infektionsgefahr mit COVID-19 in einer scheinbaren Pandemie-„Normalität“.
Die durch neoliberale Praxis aufgebaute „Sozialwirtschaft“ wird durch vom Staat auferlegte Sparzwänge freie und kommunale Träger in stärkere Konkurrenzverhältnisse drücken, sowie ihre Beschäftigten in arge Bedrängnis bringen, während weiterhin Profite erwirtschaftet werden müssen. Eine Kehrtwende vom neoliberalen Paradigma ist nicht zu sehen. Die aktuelle Versorgungssituation sozialer Dienste ist durch jahrelangen Sparzwang und Privatisierungen unzureichend.
Um Ansätze von Selbstermächtigung, Mitbestimmung und Demokratie in den Betrieben – auch über die ersten aktuellen Krisenerscheinungen hinaus – zu erfahren, schätzen sich diejenigen glücklich, die einen gut funktionierenden und arbeiter*innenfreundlichen Betriebsrat an ihrer Seite haben. Das Bestehen dieses verfassungsmäßig zugestandenen Gremiums ist dabei (leider) keine Normalität in der Sozialen Arbeit. Im Gegenteil, die Notwendigkeit für dieses Minimum an Interessensvertretung im Betrieb wird häufig selbst im Kolleg*innenkreis in Frage gestellt. Vor allem in Krisenzeiten wird im „gemeinsamen Interesse“ auf der Leitungsebene, in selbstverständlicher Manier auf eine Kooperation zwischen Betriebsrat, Geschäftsführung und Belegschaft gesetzt. Die sogenannten „gelben Betriebsräte“, als ein verlängerter Arm der Geschäftsleitung, sind keine Seltenheit in der Sozialwirtschaft. Wie in der Pflege werden die Kolleg*innen in der Sozialen Arbeit unter dem Druck („Wir alle sitzen in einem Boot“) auch moralisch korrumpiert und ihre Interessen als Lohnabhängige in den Trägern fallen hinten runter. „Systemrelevant“ ist in diesem Zusammenhang allenfalls die Arbeitskraft unserer Kolleg*innen und der abzupressende Mehrwert – mag das von den Chefs beschworene Verhältnis noch so sehr „auf Augenhöhe“ sein.
Es kann festgehalten werden: Die Bedingungen in der Sozialen Arbeit waren vor Corona mies und durch die profitorientiere Krisenverwaltung der Bundesregierung wird es aller Voraussicht nach kein Stück besser. Es ist davon auszugehen, dass die Umstellungen, die die aktuelle Krisensituation mit sich bringt, auch nicht spurlos an den Arbeitsalltag der Sozialarbeiter*innen vorüber geht.
Doch trotz des notwendigen Infektionsschutzes und der ungewissen Entwicklungen ist ein wirksamer solidarischer Austausch, in der durch die Coronakrise anrollenden Rezession, besonders für die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft dringend notwendig. Das kritische Potenzial in der Praxis der Sozialen Arbeit kanalisiert sich nicht selten in einem ehrenamtlichen Aktivismus in diversen sozialen Bewegungen außerhalb der eigenen Lohnarbeit. Doch gerade die Politisierung des eigenen Arbeitsfeldes ist die Basis für einen möglichen trägerübergreifenden Arbeitskampf und damit für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen.
Vor dem offiziellen Ausbruch der Pandemie in Berlin organisierten wir bereits ein gut besuchtes und konstruktives Solidaritätstreffen mit interessierten Sozialarbeiter*innen, um uns über die Situation auf Arbeit, grundlegende Rechte der betrieblichen Mitbestimmung und damit Sinn und Zweck der Betriebsratsarbeit auszutauschen. Hierbei konnten bereits aktive Betriebsräte und solidarische Kolleg*innen Erfahrungen weitergeben. Im Solidaritätstreff gehen wir grundsätzlich der Frage nach, wie wir uns gemeinsam trotz Ausbeutung unserer Arbeitskräfte „für die gute Sache“ stärken können. Wir wollen handlungsfähig werden!
Daher laden wir euch ein zum nächsten Solidaritätstreff: „Hart am Limit – Soziale Arbeit im Kapitalismus” mit dem Schwerpunkt „Systemrelevanz”.
Wir wollen uns über unsere Arbeitsbedingungen im Ausnahmezustand berichten und erfahren welche (langfristigen) Auswirkungen die Krise aktuell auf die Arbeitsbedingungen und laufende Kämpfe hat. Wir sammeln Expertisen und dokumentieren sie für aktuelle und kommende Kämpfe in der Sozialarbeit. So gehen wir und nachfolgende Kolleg*innen gestärkt in die Auseinandersetzungen.
Mi. 17.06.2020 | 19 Uhr | Kiezhaus Agnes Reinhold (Afrikanische Str. 74)
Im Rahmen des Solidaritätstreffs werden wir die Infektionsschutzmaßnahmen einhalten. Der Mindestabstand wird jederzeit beachtet. Dies bedeutet auch, dass die Anzahl der Teilnehmenden im Kiezhaus auf 10 Personen begrenzt ist. Sollten wir eine größere Gruppe werden, gehen wir in den Park gegenüber!