Erklärung zur Räumung des Hauses in der Habersaathstr. 46, welches gestern von obdachlosen Menschen und Aktivist*innen besetzt und abends von der Berliner Polizei geräumt wurde.
Wir sind wütend und traurig über die Räumung des Hauses in der Habersaathstr. 46, die am 29.10.20 von ca. 20 Wohnungslosen und Aktivist*innen besetzt wurde. Vor dem Hintergrund steigender Corona-Infektionszahlen und den bevorstehenden Wintermonaten haben Obdachlose und Aktivist*innen dort ihr Recht auf Wohnraum eingefordert und praktisch umgesetzt. Sie machten dabei auf den Umstand aufmerksam, dass in Berlin immer noch tausende Menschen auf der Straße sitzen, während zehntausende Wohnungen leerstehen.
Jahrelanger Leerstand
In dem Gebäudekomplex stehen seit Jahren Wohnungen leer. Ursprünglich in öffentlicher Hand, verscherbelte Finanzsenator Sarrazin (SPD) die Häuser 2006 für zwei Millionen Euro an private Investoren. Es kam zu energetischen Sanierungen und Verdrängungen von Mieter*innen. Aktuell sind von den 106 Wohnungen im Gebäude nur noch etwa ein Dutzend bewohnt, der Rest steht leer. Mehr Infos zum Haus gibt es hier.
Die Häuser denen, die sie brauchen
Acht der Wohnungen wurden am Donnerstag besetzt. Aus den Fenstern hingen Transparente mit den Beweggründen der Besetzer*innen:
Ich bin heute hier …weil Stay home draußen nicht geht …weil ich Nachbar*innen haben möchte …weil ich die Angst vor dem Winter nicht mehr ertrage …weil ich zur Ruhe kommen möchte …weil ich ein Zuhause haben möchte …weil ich Nachts keine Angst haben möchte
Nachdem die Besetzung verkündet wurde, versammelten sich mehrere hundert solidarische Menschen vor dem Haus. In Redebeiträgen wurde auf die menschenunwürdige und lebensgefährliche Situation von Wohnungslosen und Geflüchteten in Lagern hingewiesen, Leerstand angeprangert und der kapitalistische Wohnungsmarkt als gemeinsame Ursache dieser Probleme benannt.
Verhandlung und Kompetenzchaos
Zeitgleich fanden Verhandlungen verschiedener Bezirks- und Senatspolitiker*innen mit der Polizei statt. Auf Twitter verkündete u.a. Tobias Schulze (Die Linke), dass der Bezirk die Beschlagnahmung innerhalb von 24 Stunden prüfe.
Daher bestand bei vielen Aktivist*innen die Annahme, dass die Besetzung zumindest für die Nacht geduldet würde. Trotz der laufenden Prüfung schaffte die Berliner Polizei Tatsachen und räumte die Wohnungen. Sie folgte damit einer Bitte des Eigentümers des Hauses. Hier stellte die Berliner Polizei also die Weisungen des Immobilienkapitals höher, als die der Landespolitik. Die angemeldete Kundgebung auf der Straße vor dem Haus wurde dabei ohne Vorwarnung von der Berliner Polizei überrannt.
Menschen, die eben noch friedlich auf dem Bordstein vor dem Haus saßen, wurden von der Polizei mit Schlagstöcken von der Straße getrieben. Eine Vorwarnung durch die Berliner Polizei gab es nicht. Viele Menschen stürzten, die Situation war unübersichtlich. Zeitgleich wurde der Musikanlage durch die Polizei der Strom abgedreht, so dass eine Kommunikation mit den Anwesenden nicht mehr möglich war. Die Menschen aus dem Haus wurden festgenommen. Einige kamen erst in den frühen Morgenstunden frei. Statt einer friedlichen Nacht im Bett hatten sie eine Nacht volle schikanöser Behandlung durch die Polizei, um anschließend wieder ohne einen Schlafplatz auf der Straße zu stehen.
Unwillen oder Täuschung?
Es zeigt sich erneut, dass die Berliner Politik nicht fähig oder nicht Willens ist, Wohnraum für Obdachlose Menschen zu schaffen oder zu verteidigen. Die „Solidaritätsbekundungen“ zahlreicher Politiker*innen auf Twitter stehen im krassen Kontrast zu der Realität, dass obdachlose Menschen gestern abend durch die Polizei auf die Straße gesetzt wurden, um „Eigentümerinteressen“ durchzusetzen.
Ob die Berliner Polizei auf Anweisungen des Bezirks Mitte handelte und auf eigene Faust agierte, ist momentan noch unklar. Ersteres würde implizieren, dass die Verhandlungen durch den Bezirk ein bloßes Täuschungsmanöver waren. Letzteres würde bedeuten, dass die Berliner Politik keine Kontrolle über die Berliner Polizei hat und diese nach ihrer eigenen (rechten) Gesinnung Politik macht.
Fest steht jedoch: die Ereignisse von gestern werden keine Konsequenzen nach sich ziehen. Obwohl sich die Linkspartei öffentlich als Gegnerin von Räumungen positioniert, haben auch vergangene (rechtswidrige) Räumungen gezeigt: es folgt kein Koalitonsstreit oder gar die Absetzung von Verantwortlichen. Stattdessen kehrt man wieder zum Status-Quo zurück.
Die Grünen zeigen sich immer stärker als Partei der besitzenden Klasse und Bezirksbürgermeister Stefan von Dassel führt seine schon bekannte obdachlosenfeindliche Politik weiter.So werden auch diesen Winter wieder tausende von obdachlosen Menschen den Winter auf der Straße verbringen müssen, während zehntausende Wohnungen in Berlin leerstehen.
Wir fordern: Kein Menschen ohne Wohnung, keine Wohnung ohne Menschen. Es gibt genug Wohnraum für alle. Leerstehende Wohnungen müssen beschlagnahmt werden, um Obdachlosigkeit zu beenden! Den kompletten Forderungskatalog zur demokratischen Lösung der Corona-Krise findet ihr hier: https://www.unverwertbar.org/corona-katalog/