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In den letzten Wochen hat sich die Mieter:innengemeinschaft der Seestraße 110 an unser Stadtteilorganisierugn gewandt mit dem Hinweis, das ihr Haus verkauft worden wäre. Daraufhin kamen wir zusammen um uns als solidarische Nachbar:innen im Kiez über Möglichkeiten des Widerstands auszutauschen. Der Mietenwahnsinn in Berlin dauert an und die Verwertungsspirale im Wettrennen um Rendite und Profite mit unseren Wohnungen dreht sich weiter ohne das politisch geeignete Mittel im Sinne der Berliner Mieter:innen, zumindest zur Eindämmung, vom Senat in Stellung gebracht werden. Wie vielen bekannt, ist auch mit dem neuen Senat, das Gegenteil der Fall.
Kaum verfügbar oder bezahlbar
Eine bezahlbare, massenhafte und gleichzeitig bedürfnisgerechte Versorgung mit Wohnraum wird es im Kapitalismus nicht geben. Eine Milderung der permanenten Krise durch die konsequente Enteignung großer Wohnungsunternehmen lässt trotz erfolgreichem Volksentscheid und einer positiven „Extraprüfung“ durch eine Expertenkommission weiter auf sich warten. Wir jedoch warten nicht, wollen selber aktiv werden und organisieren uns in unserem Stadtteil. Momentan u.a. über eine Nebenkostenberatung um die Wucher bei den Betriebskosten für uns Mieter:innen durch kompetente Prüfungen bei Hausgemeinschaften einzudämmen.
Wir wollen hier die Pressemitteilung der kämpfenden Hausgemeinschaft Seestraße 110 dokumentieren und zur solidarischen Unterstützung aufrufen!
Die Mieterversammlung Seestraße 110 fordert den Bezirk Mitte auf, sein Vorkaufsrecht für das in einem Milieuschutzgebiet gelegene Mietshaus auszuüben.
Damit wäre Mitte mit Neukölln der zweite Bezirk, der erstmals nach knapp zwei Jahren wieder einen öffentlichen Vorkauf initiiert.Private Investoren verantwortlich für Aufwertungsdruck
Das Haus mit 27 Mietwohnungen im Berliner Stadtteil Wedding soll am 10. Oktober an die Schweizer Immobilienfirma BlueRock Group verkauft werden. Christoph Mayer, Sprecher der Mieterversammlung Seestraße 110, sagt: „Das Vorgehen privater Immobilienfirmen läuft immer wieder nach bekannten Mustern ab: Die Investoren gehen in Innenstädten auf Shoppingtour, um die von ihnen gekauften Häuser danach schnell wieder teurer zu verkaufen. Oder sie hübschen das neu erworbene Eigentum auf und legen die Kosten auf die Mieter um.“
Beides sei unzumutbar für die Bewohner, so Mayer weiter. Der Bezirk müsse das in der Gründerzeit erbaute Haus sowohl vor weiterer Verwahrlosung als auch vor einer Luxussanierung schützen. Es gebe jetzt die Chance, das Vorkaufsrecht zurück auf die politische Tagesordnung zu bringen: „Mitte kann den Stein ins Rollen bringen. Von einer Initiative der Bezirke könnten in den nächsten Jahren tausende Mieterhaushalte in ganz Berlin profitieren.“
Bezirk kann Vorkaufsrecht über landeseigene Wohnungsbaugesellschaft ausüben
Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im November 2021 haben die zwölf Berliner Bezirke das Vorkaufsrecht nicht mehr genutzt. Das Stadtentwicklungsinstrument wurde durch das Urteil erheblich geschwächt. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht für Kommunen aber weiterhin die Möglichkeit, anstelle eines privaten Käufers in einen Kaufvertrag einzutreten: wenn etwa gravierende Missstände und Mängel am Haus vorliegen.
Von diesen konnte sich das Bezirksamt Mitte vergangene Woche bei einer Begehung der Seestraße 110 überzeugen. Leila Reese, Sprecherin der Mieterversammlung, erklärt: „Die Mängel am Haus sind schwerwiegend, eine Instandsetzung nötig. Wenn das Haus verfällt, müssen wir ausziehen. Wenn es teuer modernisiert wird und die Mieten steigen, ebenfalls. Deshalb wollen wir eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft als Käuferin, die sich an soziale Erhaltungsgrundsätze gebunden sieht.“
Bundesweite Debatte über Mietenpolitik nötig
Der Mietspiegel in Berlin ist indes auch 2023 weiter gestiegen. Bei den Bestandsmieten erhöhte sich die Kaltmiete um durchschnittlich 2,7 Prozent, die Angebotsmieten legten im selben Zeitraum um sagenhafte 20 Prozent zu. Das jüngst verabschiedete Maßnahmenpaket für bezahlbares Wohnen der SPD-Bundestagsfraktion macht den Handlungsdruck deutlich, der besonders auf der Hauptstadt lastet. Das Papier fordert unter anderem, dass Mietpreissteigerungen auf sechs Prozent innerhalb von drei Jahren begrenzt werden. Eine bereits im April 2022 vorgelegte Gesetzesinitiative des SPD-geführten Bundesbauministeriums, welche dem Vorkaufsrecht zu alter Stärke verhelfen sollte, scheiterte bislang an der Blockade des Koalitionspartners FDP.
Reese sagt: „Wir sind optimistisch, dass sich die Berliner SPD von den mietenpolitischen Vorstößen der SPD-Bundestagsfraktion ermuntert fühlt, endlich aktiv gegen Verdrängung vorzugehen. Für die Seestraße 110 und andere Häuser in Berliner Milieuschutzgebieten braucht es jetzt unmittelbare Handlungen. Die fordern wir von Herr Baustadtrat Gothe und dem Bezirksamt Mitte. Politik und Verwaltung müssen jetzt Mut beweisen und eines der wenigen Mittel, die man gegen die Verdrängung ganzer Bevölkerungsschichten aus Innenstädten hat, endlich wieder nutzen.“
Pressemitteilung vom 11.09.2023
Nach Neukölln: Vorkaufsrecht jetzt auch im Wedding anwenden
Nachdem der Berliner Senat den Weg freigemacht hat für den Vorkauf der Weichselstraße 52 in Neukölln, fordern Mieter der Seestraße 110 im Stadtteil Wedding den Schutz ihres Hauses mit neuem Selbstbewusstsein. Christoph Mayer, Sprecher der Mieterversammlung, sagt:
„Neukölln und das Land Berlin haben bewiesen, dass mit dem Vorkaufsrecht wieder zu rechnen ist. Der Bezirk Mitte darf bei der Entscheidung in der Seestraße dahinter nicht zurückbleiben. Für die Mieter steht viel auf dem Spiel: Nutzt der Bezirk sein Vorkaufsrecht und beauftragt einen gemeinwohlorientierten Drittkäufer mit dem Erwerb, bleiben die Mieten bezahlbar und die Bewohner ihrem Kiez erhalten. Erwirbt der private Investor Ronny Pifko die Immobilie, sind rasante Mieterhöhungen so gut wie besiegelt. Ein Großteil der Bewohner wird sich Luxussanierungen aber nicht leisten können und ausziehen müssen – ohne Chancen auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Für die Mieter des Hauses ist es daher existentiell, dass Politik und Verwaltung jetzt eingreifen.“
Die Zeit drängt
Die Frist zur Prüfung des Vorkaufsrechtes endet am 8. Oktober. Kommt der Bezirk zu dem Ergebnis, dass gravierende Missstände und Mängel an dem Haus bestehen, ist ein Vorkauf auch nach einem einschlägigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2021 noch möglich. Das politische Steuerungsinstrument blieb infolge des Urteils für knapp zwei Jahre ungenutzt und wurde nun vom Bezirksamt Neukölln reaktiviert. Zuvor hatten sich Initiativen und Teile der Politik dafür ausgesprochen, das Baugesetzbuch zu ändern, um dem Vorkaufsrecht wieder breiteren Handlungsspielraum zu geben.
In der Seestraße 110 hat zuletzt eine Begehung durch das Bezirksamt Mitte stattgefunden, bei der Mängel und Missstände am Haus erfasst wurden. Die Mieterinnen und Mieter warten nun auf ein Signal der Bezirksverwaltung. Jonas Braun, ebenfalls Sprecher der Mieterversammlung Seestraße 110, erklärt:
„Die Zeit drängt. In drei Wochen soll unser Haus über den Tisch gehen. Der Bezirk muss seinen Handlungsspielraum jetzt nutzen. Wir können nicht warten, bis die FDP ihre Blockade in der Bundesregierung aufgibt und einer gesetzlichen Änderung des Vorkaufsrechts zustimmt. Wir wollen nach der Weichselstraße 52 die nächsten sein, die vom Vorkaufsrecht profitieren – nicht die letzten, bei denen sich eine Kommune die Hände gebunden fühlt.“
Pressemitteilung vom 16.09.2023