Als sozialistische Stadtteilorganisierung „Hände weg vom Wedding“ bestehen wir seit 2012 im Berliner Stadtteil Wedding. In den vergangenen Jahren haben wir unsere organisationspolitische Entwicklung und Struktur stets angepasst – abhängig von den Erfahrungen, die wir als Organisation machen, den Lehren aus den Kämpfen, die wir führen, und den Anforderungen, die unsere Nachbar:innen aus der Arbeiter:innenklasse an uns stellen.
Stand: Januar 2025
Lesezeit: ca. 15 Minuten
Das Selbstverständnis kann als PDF hier heruntergeladen werden.
Eine kurze Beschreibung unserer Organisationsstruktur findet ihr hier.
Die politischen Ereignisse, vor allem vor dem Hintergrund sich zuspitzender ökonomischer Krisen sowie der fortschreitenden rechten bis faschistischen Entwicklungen der letzten Jahre, haben uns als Organisation gezeigt, dass die politische Ansprache und Einbindung, die tagtägliche Massenarbeit in der imperialistischen Metropole Berlin, ein neues Herangehen brauchen. Aus diesem Grund haben wir in den letzten Monaten unser Organisationsmodell angepasst und unsere Struktur überarbeitet. Aus diesen Veränderungen ergibt sich die Notwendigkeit eines aktualisierten Selbstverständnisses, in dem wir für Außenstehende unsere Analysen und Erfahrungen teilen. Zentral sind dabei unsere Erfahrungen im Begleiten und Führen kollektiver sozialer Kämpfe. Für unser Verständnis von stadtteilpolitischer Arbeit ist besonders relevant, dass die Kämpfe, die wir austragen bzw. begleiten, nicht ausschließlich einen abwehrenden Charakter haben, sondern sich daran messen lassen müssen, ob sie Ausgangspunkt revolutionärer Organisierung sind. Nur so können wir der Tendenz zu sozialpolitischen Dienstleistungen und der eigenen Subkulturalisierung durch „linkes Gruppenwesen“ eine Perspektive entgegenstellen, die eine Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft in Aussicht stellen kann und uns als Klasse zusammenbringt.
Nach unserem 2019 veröffentlichten Text „Bau auf. Bau auf! Revolutionäre Stadtteilarbeit neu organisieren“ teilen wir an dieser Stelle unsere Perspektiven. Dieser Text soll für Theoretiker:innen und Praktiker:innen eine konstruktive Debatte ermöglichen, um über eine zeitgemäße, kontinuierliche, zuverlässige und kämpferische Stadtteilpolitik nachzudenken und diese schließlich gemeinsam umsetzen zu können.
Die Schwerpunkte unserer Praxis
Als „Hände weg vom Wedding“ erheben wir den Anspruch, Berührungspunkte für diejenigen in unserem Stadtteil zu schaffen, die nicht bereits in linken Initiativen, Parteien und Bewegungen organisiert sind und diejenigen, die bisher keine bewussten politischen Kontakte eingegangen sind. Um klassenkämpferische und revolutionäre Positionen in Zeiten von staatlicher und privatisierter Elendsverwaltung, gesellschaftspolitischen Rechtsentwicklungen, globaler Klimakatastrophe und Kriegspropaganda von oben populär gestalten zu können, ist ein Fokus auf den eigenen Stadtteil, den eigenen Kiez, die eigene Nachbarschaft hilfreich. Wir leben bzw. arbeiten (überwiegend) im Wedding, sind selbst Teil der arbeitenden Klasse und richten unseren Blick auf unsere Klassengeschwister im Stadtteil.
Für die politische Arbeit, den Aufbau und die (Weiter-)Entwicklung einer Organisation braucht es dabei stets eine Analyse, die die kapitalistische Gesellschaft im Allgemeinen (im nationalen und globalen Kontext) sowie spezifisch (im regionalen und lokalen Kontext) in den Blick nimmt. Diese stellt den Ausgangspunkt dar, um die zentralen Widersprüche von Ausbeutung und Unterdrückung im Alltag der lohnabhängigen Klasse überhaupt identifizieren zu können und eine Formulierung von Strategie und Taktik erst vornehmen zu können. Diese Analyse ist letztlich die Voraussetzung für die politische Arbeit, den Aufbau und die (Weiter-)Entwicklung einer stadtteilpolitischen Organisation.
Die Schwerpunkte unserer Praxis leiten sich dementsprechend aus dieser Analyse ab, wenngleich wir wissen, dass wir noch weitere Praxisfelder entsprechend der analysierten zentralen Widersprüche aufbauen müssen. Wir führen in der praktischen Arbeit keine Stellvertreter:innenkämpfe, sondern verbinden uns mit unseren kollektiven Themen und Kämpfen in Betrieben, Wohnhäusern, in der Nachbarschaft und im Alltag.
Die Schwerpunkte unserer Praxis sind aktuell:
• Der betriebliche Kampf (in der sozialen Arbeit)
• Der internationalistische und antiimperialistische Kampf
• Der mietenpolitische Kampf
• Der Auf- und Ausbau von räumlicher Infrastruktur im Wedding, die sozialen Zentren Kiezhaus und Interbüro als Orte gelebter Solidarität
In der Konsequenz bedeutet es, dass wir daran arbeiten, unsere gespaltene Klasse zusammenzubringen. Dort, wo sie von der herrschenden Klasse von rechts gespalten und aufgehetzt ist, arbeiten wir konkret an der Schaffung von Solidaritätserfahrungen und entsprechenden Räumen. Analog zu der Klassenzusammensetzung in diesem Stadtteil liegt es an uns, die politisch und gesellschaftlich unsichtbar gemachten Teile der Klasse in eine gemeinsame Agenda einzubeziehen.
In der Praxis bedeutet es, die (post-)migrantische Arbeiter:innenklasse, die u. a. durch Illegalisierung und (informelle) Lohnarbeit (tendenziell) ein überausgebeuteter und politisch weitgehend ausgegrenzter und gewaltsam unterdrückter Teil unserer gemeinsamen Klasse ist, aktiv anzusprechen. Angesichts der doppelten Ausbeutung weiblicher Personen aufgrund von Lohnarbeit und der in die heimische Sphäre ausbeutenden Reproduktionsarbeit müssen wir auch in der Frage nach Geschlecht die (Über-)Ausbeutung und politische, wirtschaftliche sowie soziale Diskriminierung und Gewalt benennen und bekämpfen.
Wie viele Teile der deutschen Linken bilden wir die reale Zusammensetzung der Arbeiter:innenklasse nicht in unserer Organisation ab, sondern mehrheitlich ihren weißen, männlichen, akademischen Teil. Dessen sind wir uns bewusst und haben vor allem in den vergangenen Jahren erfolgreich Veränderungen in der Zusammensetzung unserer Organisation anstoßen können. Nicht zuletzt hängt damit die Veränderung unserer Struktur und unserer Praxis zusammen.Als Organisation wehren wir uns mit vielen Nachbar:innen, Kolleg:innen und Engagierten sowie weiteren kämpfenden Akteur:innen im Stadtteil gegen rassistische und geschlechtliche Spaltungen.
Diese werden durch die herrschende politische und kapitalistische Klasse forciert, die trotz plakativer Diversitätsbekenntnisse und -kampagnen aktiv zu verhindern versucht, gemeinsame Kämpfe von unten für eine wirklich sozial gerechte Gesellschaft zu entwickeln und führen zu können. Wir sagen Nein! zur maximalen Erwirtschaftung von Profiten und Renditen durch die Ausbeutung unserer Arbeitskraft, der anschließenden Abpressung unseres Geldes über die Miete, insbesondere durch die Überausbeutung marginalisierter Teile der Bevölkerung und die gegenseitige Aufhetzung.
Ebenso entschlossen erteilen wir der Hetze eine Absage, mit der sie uns kriegstüchtig und bereit machen wollen, auf den Schlachtfeldern des Kapitals für die Interessen der Herrschenden zu sterben. Zugunsten von Aufrüstung, Krieg, Tod und den Profiten des Kapitals sind wir es, die den Sozialkahlschlägen zustimmen sollen. Der Grundrechteabbau, die Repression im Inneren unter dem Deckmantel der „Sicherheit“, die letztlich die Sicherheit zur Aufrechterhaltung dieser mörderischen Verhältnisse meint, ist ein direkter Angriff auf uns Arbeiter:innen.
Als Stadtteilorganisation im imperialen Zentrum, in direkter Nachbarschaft zu den Rüstungsunternehmen, Think Tanks und Lobbyorganisationen dieser Kapitalvertreter:innen, der Kriegsprofiteure und ihren politischen Akteur:innen, haben wir die Pflicht, kollektiven Widerstand zu leisten. Aus diesem Grund schaffen wir gemeinsam Räume für gelebte Solidarität und Perspektiven für uns als lohnabhängige Klasse. Für Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Wir organisieren Kämpfe im „Herzen der Bestie“
Wir wissen, dass der Kapitalismus, sein Profitstreben und die brutale Durchsetzung der Profitinteressen durch die bürgerlichen Parteien die Ausgangsbedingungen darstellen:
Für Armut, die ökologische Verwüstung unseres Planeten, unserer Lebensgrundlagen, Würde und letztlich für Krieg. Der angeblichen Alternativlosigkeit von Aufrüstung, Kriegstüchtigkeit, Wehrpflicht, dem Verzicht zugunsten der Interessen der Wirtschaft und Spardiktaten stellen wir eine sozialistische Agenda für den Sozialismus gegenüber.
Während Marktliberalisierung und Angriffe auf das Streikrecht von uns Lohnabhängigen gefordert werden, Mieter:innen in den Metropolen immer unverschämter für die Rendite des Immobilienkapitals geschröpft werden, braucht es die Enteignung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Wohnraum. Denn: Was wir als Arbeiter:innenklasse gemeinsam erwirtschaften, kann nicht für die Taschen einiger weniger bestimmt sein. Es braucht den Aufbau einer bedarfsorientierten Planwirtschaft für Mensch und Natur statt kapitalistischer Marktwirtschaft und Profite und Renditen für Konzerne und Kapitalist:innen. Wir sagen Schluss mit der Ausbeutung über die Lohnarbeit und der Herrschaft des Kapitals über unsere Leben und Lebensgrundlagen. Und wir sagen: Ja! zur Enteignung und Sozialisierung der grundlegenden Lebensbereiche von Arbeit, Gesundheit über Wohnen bis Bildung.
Dieser zerstörerischen Spirale für Natur und Mensch müssen wir ein Ende setzen, um auch den Kämpfen in der kapitalistischen Peripherie, an den Rändern der imperialistischen Staaten, die Chancen auf eine erfolgreiche Bekämpfung der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch Konzerne und ihre Staaten zu erhöhen. Ganz im Sinne der richtigen Feststellung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ (Karl Liebknecht) kommt dem Widerstand in den imperialistischen Metropolen eine besondere Bedeutung zu.
Aus unserer Sicht ist es die Verantwortung revolutionärer Organisationen, sich vor Ort zu organisieren.
Im „Herzen der Bestie“ revolutionär zu arbeiten heißt, konsequent und kontinuierlich zu arbeiten, damit
dieses Tod und Elend bringende System im imperialistischen Zentrum zu Fall gebracht wird. Nur so
haben die hiesigen Organisationen eine Chance darauf, den internationalen Kämpfen Luft zum Atmen zu
verschaffen die ihnen Räume eröffnet, ihre Kämpfe zur Befreiung von Kapital- und Kolonialherrschaft
erfolgreich werden zu lassen. Im Zentrum gilt es, unsere Kämpfe symbolisch sowie praktisch mit denen
im globalen Süden und weltweit zu verknüpfen, die diese kapitalistische Herrschaft zu überwinden
versuchen.
„Hände weg vom Wedding“ ist ein Ort des gelebten Internationalismus und schafft lokale Anknüpfungspunkte für den Kampf gegen den Sozialchauvinismus, der gegen die (post-)migrantische Arbeiter:innenklasse hetzt. In Berlin als Hauptstadt des deutschen Imperialismus, welcher international die Vorherrschaft zu erlangen versucht, werden öffentliche Angebote kaputtgespart, progressiven Organisationen finanzielle Förderungen entzogen und Mietverträge für soziale Zentren gekündigt. Was sich weder unter den kapitalistischen Markt und seiner Jagd auf Profite noch für die eigenen Herrschaftsinteressen unterordnen lässt, gerät unter die Räder. Umso dringender braucht es Räume und Organisierungsangebote, die der Arbeiter:innenklasse zur Verfügung stehen.
Die Schaffung von Infrastruktur für eine kontinuierliche Klassenpolitik ist zentral. Diese Räume braucht es umso dringender, um Cancel Culture (gegenüber Veranstaltungen, die den von oben aufgesetzten bürgerlichen Doktrinen widersprechen), Extremismusverdacht sowie der finanziellen/politischen Abhängigkeit vom Staat und der damit verbundenen Erschwerung bis Verunmöglichung revolutionärer Praxis entkommen zu können. Der Aufbau solidarischer Infrastruktur ermöglicht somit Räume zur Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft der Solidarität, des Friedens und des Wohlstands.
Demokratische Rechte verteidigen und ausbauen
Für eine menschenwürdige Gesellschaft verteidigen wir das, was in sozialen Kämpfen errungen wurde und nun sukzessive abgebaut werden soll. Wir wissen: Die Grundrechte sind kein Geschenk vom Himmel oder von oben, sondern müssen immer wieder von unten verteidigt und weiter erkämpft werden.
Wir verteidigen die historisch erkämpften bürgerlichen Freiheiten wie die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit gegen die aktuellen Rückschritte durch den bürgerlichen Staat selbst. Gleichzeitig kämpfen wir gegen den bürgerlichen Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Friedrich Engels), der nicht unsere Interessen vertritt, sondern immer der Staat der Herrschenden bleiben wird und allzeit bereit ist, seine Klasseninteressen mittels seines repressiven Staatsapparats durchzusetzen.
Die bürgerliche Demokratie hat einen entmündigenden Charakter. Uns wird vorgegaukelt, wir könnten durch Wahlen irgendetwas verändern, doch am Ende ist es egal, welche Partei die Rechte der Konzerne stärkt, Gesetze im Sinne der Ausbeutung verabschiedet, im sozialen Bereich und in der Kultur kürzt, Rassismus schürt oder die Schulen verrotten lässt. (Schein-)Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auf lokaler Ebene sollen verschleiern, dass wir absolut nichts zu sagen haben. Hauptsache wir halten die Füße still und beschweren uns nicht, wenn die Profite der Reichen und Mächtigen den Ton angeben.
Dem setzen wir die sozialistische Demokratie entgegen, die nicht auf die Wahl der staatlichen Verwaltung beschränkt ist, sondern eine reale Einbindung breiter werktätiger Massen in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse ermöglicht. Demokratie geht hierbei über die repräsentative Verwaltung des Staatsapparates hinaus und erstreckt sich bis in die Sphäre der Produktion, die keine Angelegenheit privater Unternehmer mehr darstellt. Wir streiten für eine Demokratie, die die Produzent:innen in die relevanten Entscheidungen der Produktion einbindet. Dazu streben wir den Aufbau proletarischer Räte und anderer wirklich demokratischer Entscheidungsmechanismen für gesamtgesellschaftliche Fragen an.
So setzen wir der Scheindemokratie und den ritualisierten bürgerlichen Wahlen konkrete Partizipation derjenigen entgegen, die den gesellschaftlichen Reichtum schaffen.
Wir müssen den Spagat schaffen, das Grundgesetz gegen diejenigen zu verteidigen, die sich auf dieses beziehen, es aber kontinuierlich aushöhlen, sobald die kapitalistischen Zustände ernsthaft hinterfragt werden. Zugleich bleiben wir nicht bei der bloßen Verteidigung stehen, sondern streiten für dessen konsequenten Ausbau. Nur so können die Interessen der Produzent:innen des Reichtums gegen die Herrschenden, die uns über Lohnarbeit, Miete, Rassismus und patriarchale Unterdrückung ausquetschen, durchgesetzt werden.
Sich gemeinsam stärken
Um als politischer Akteur unsere Klasseninteressen für ein würdiges Leben in Frieden glaubwürdig aufgreifen zu können, organisieren wir uns in Abgrenzung zum Staat und seiner Institutionen. Stadtteilpolitik kann schnell der Wolf im Schafspelz sein. Wenn die Parteien, die in der Bundesregierung, im Berliner Senat oder in der Bezirksverordnetenversammlung eben genau die Kürzungen durchwinken, die uns das Leben zur Hölle machen und sich gleichzeitig mit Straßenfesten, Kiezspaziergängen als unsere Interessensvertreter:innen verkleiden, dann täuscht das nur darüber hinweg, dass sie es sind, die für die arbeitende Bevölkerung mit Knüppel und Gesetzen diese menschenunwürdigen Zustände trotz Kosmetik aufrechterhalten.
Auch die Leerstelle durch das Versagen bzw. die Abwesenheit einer deutschen Linken in weiten Teilen sozialer Kämpfe muss gefüllt werden. Wir dürfen nicht in die Falle der Integration in bürgerliche Politikformen laufen und uns als stadtteilpolitische Initiative so lange abfeiern lassen, bis es um konkrete Inhalte geht. Es ist nicht Sache der klassenkämpferischen Linken, die Ausrede der Sachzwänge zu wiederholen – weder auf der „großen politischen Bühne“ der Parlamente, noch in der kleinteiligen Arbeit auf den Straßen im Stadtteil.
In unserer Arbeit führen wir ganz konkrete, gewinnbare Kämpfe zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Wohnbedingungen im Wedding. So lernen wir zu kämpfen und spüren die Grenzen der Reformierbarkeit des Kapitalismus. Die kleinen, realpolitischen Erfolge unserer praktischen Arbeit dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine grundlegende Opposition zur herrschenden Politik braucht, um die zugrundeliegende Struktur umwerfen zu können.
Als Grundlage dient dabei die Schaffung von Klassenbewusstsein durch das kontinuierliche, verbindliche Aufgreifen der zentralen kapitalistischen Widersprüche – im Stadtteil und darüber hinaus – die im Alltag der lohnabhängigen Bevölkerung spürbar sind. Dafür braucht es eine verlässlich und kontinuierlich arbeitende Organisation, die in der Lage ist, Klassenpolitik zu leisten, die sich ansprechbar macht, die sich von einem linksliberalen Einheitsbrei abhebt und die Themen unserer Klasse im Stadtteil in die kämpferische Praxis zu überführen.
Die Welt, ihre Machtzentren und ihre Funktionsweisen sind komplex. Darum ist es unerlässlich, sich ideologisches Rüstzeug anzueignen, dieses zu diskutieren und zu vermitteln. Darum beziehen wir uns auf die marxistische Weltanschauung, um uns jene Werkzeuge für die Analyse und Überwindung der Verhältnisse geben zu können. Diese verständlich zu machen, kontinuierlich in die politische Arbeit einfließen zu lassen und zu diskutieren, schafft (selbst-)bewusste und kämpferische, kollektive Subjekte, die die Geschicke in die eigenen Hände nehmen. So treten wir kollektiv als mündige Subjekte in das Weltgeschehen.
Im Zuge des wachsenden Einflusses reaktionärer und faschistischer Kräfte nehmen wir ihnen aktiv Räume und ihre Einflussbereiche, damit sie mit ihrer Hetze und ihren Spaltungen keinen Stich setzen können. Denn nur dort, wo eine Linke nicht präsent ist, gewinnen diese Kräfte Raum und Einfluss. Während sie ihre politischen Programme und Lügen als Krisenlösung verkaufen, bedeuten sie in der Praxis Hetze, Elend und Tod für uns. Sie stehen immer auf der Seite der Ausbeuter:innen. Der Schein einer sozialen Agenda verschleiert nur ihr Programm einer verschärften und noch gewaltsameren Ausbeutung und ihre Kriegspropaganda.
Die Grenzen der Reformierbarkeit dieses kapitalistischen Systems erfahren wir ständig. Und doch dürfen wir die kleinen Verbesserungen nicht gegen die notwendigen strukturellen Veränderungen ausspielen. Wir verfolgen eine „revolutionäre Realpolitik“ nach Rosa Luxemburg, die gewinnbare Kämpfe um konkrete Lebensverbesserungen führt. Wir zeigen zeitgleich auf, warum es einen grundlegenden Systemwechsel benötigt. Ein dialektisches Verständnis von Reform und Revolution schafft so die Grundlagen für ein vermasstes kritisches Verständnis für die Notwendigkeit weiterführender Kämpfe.
Solidarität erlebbar machen
In unserem 2019 veröffentlichten Text schreiben wir:
„Das (alleinige) Einfordern einer ‚Organisierung von unten‘, zum Beispiel über Demonstrationen und Redebeiträge, schafft noch keine organisatorischen Strukturen für eine breite Bewegung im Kiez. Dabei mangelt es sogar immer mehr an ausreichend physischen Räumen für eine solche Organisierung. Aus dieser Analyse heraus entwickelten wir mit anderen Gruppen und Engagierten die Idee eigener Räume für die politische Praxis. Mit dem Aufbau des ‚Kiezhaus Agnes Reinhold‘ haben wir es schließlich gemeinsam geschafft, linker Politik im Wedding einen Raum zu geben.“
Viele Jahre später blicken wir auf ein gut besuchtes, lebendiges, politisches Kiezhaus, das als Dreh- und Angelpunkt für mietenpolitische und betriebliche Kämpfe dient, bei dampfenden Töpfen Nachbar:innen zusammenbringt, Räume für Kinder und ihre Eltern schafft und dabei nie an ideologischer Klarheit verloren hat. Solidarität zeigt sich auf der Straße, im gemeinsamen Kampf, aber auch bei einem bezahlbaren Teller Suppe, kostenfreier Winterkleidung für Kinder, einer offenen Bürozeit, Sozialberatung, Technikverleih und einer Werkstatt für das Basteln eines neuen Transparents.
Das Kiezhaus hat 2022 wenige Gehminuten entfernt ein Geschwister bekommen – das Interbüro.
„Mit dem Aufbau des Interbüros wollen wir einen Beitrag für die Stärkung eines zeitgemäßen Internationalismus leisten. Wir wollen in Berlin eine Struktur schaffen, die langfristige Kontakte zu fortschrittlichen und klassenkämpferischen Gruppen, Parteien und Bewegungen knüpft. Eine Struktur, die in der Lage ist, Kämpfe zu koordinieren, anstatt den Ereignissen hinterherzurennen. Eine Struktur, die lokal Menschen für Internationalismus begeistert, sie dann aber auch langfristig organisiert.“
Aus dem Selbstverständnis des Interbüros.
Auch hier blicken wir auf erfolgreiche Kooperationen, gut besuchte Veranstaltungen und einen gut gefüllten Kalender. Nicht zuletzt bietet das wöchentliche internationalistische Café seit über einem Jahr einen unumstößlichen Anlaufpunkt für all diejenigen in Berlin, die sich vernetzen wollen, ihre Erfahrungen mit der brutalen Repression durch den Staat gemeinsam besprechen, sich dagegen stärken und unermüdlich neue Aktionen planen.
Beide Räume finanzieren sich über Fördermitgliedschaften. Zunehmende Angriffe auf die von uns mitaufgebaute Infrastruktur zeigen: Es regt sich Widerstand gegen unseren Widerstand, unsere Arbeit bleibt nicht ungesehen. Der Zuspruch und die Solidarität, der Rückhalt im Kiez nehmen zu und stärken uns in den wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit unseren Gegner:innen.
Sozialismus in Bewegung bringen
Unsere kleinteiligen, eingangs erwähnten, Praxisfelder sind Ausdruck der Schaffung von partizipativen Angeboten. Diese stellen die Berührungspunkte und Räume für die Schaffung eines Klassenbewusstseins und der kollektiven Bewegung dar.
Diese Praxisfelder mit ihren offenen Angeboten für den Kontakt zu sowie die aktive Mitarbeit von Mieter:innen, Kolleg:innen und Nachbar:innen aus unserer Klasse haben das Ziel, das Erstarken von rechten/faschistischen sowie klassenversöhnlerischen Kräften zu verhindern, die den Status quo weitgehend aufrechterhalten wollen. Wir arbeiten daran, jene hier beschriebene Klassenpolitik auf möglichst breiter Basis umzusetzen. Eine in vielen Teilen der Linken oftmals propagierte „neue“, populäre Klassenpolitik zu entwickeln, heißt für uns, über die Sphären linker Selbstreferenzen und Abgeschlossenheit gegenüber breiten Teilen der Klasse hinauszugehen.
Uns liegt nichts ferner als paternalistisch und von oben herab eine ominöse Masse anzusprechen. Wenn wir von der Masse sprechen, müssen wir in der Lage sein, im Alltag der Menschen präsent zu sein. Dazu müssen wir uns als verlässliche und ernsthafte Akteure herausstellen, Seite an Seite kämpfen und Solidarität praktisch erleben. Gemeinsam lernen wir aus der Vergangenheit, aus Erfolgen, Herausforderungen und Niederlagen. Nur aus Geschichtsbewusstsein schaffen wir eine lebendige, klassenkämpferische Praxis. Dabei ist es uns ein notwendiges Anliegen, den vorherrschenden Antikommunismus und die anti-linke Hetze zur Verhinderung jedes gesellschaftlichen Fortschritts in die Schranken zu weisen. Es ist nicht die Aufgabe der Rechten, sondern unsere, kritisch und solidarisch zur Geschichte der Arbeiter:innenbewegungen – mit ihren Erfolgen und Fehlern – zu stehen. So stellen wir auch ideologisch die notwendigen Weichen: Für eine starke sozialistische Bewegung, soziale Gerechtigkeit und internationalen Frieden.
Zusammengefasst: Packen wir es an!
Die Zeichen der Zeit drängen. Im imperialistischen Zentrum, in welchem die sozialen Krisen durch die Umverteilung des Reichtums vom globalen Süden in den globalen Norden zu einem großen Teil verdeckt werden, kriselt es an allen Ecken und Enden. Die globale Klimakrise, der Aufstieg neuer wirtschaftlicher Mächte mit dem verbundenen Niedergang des „westlichen Imperialismus“ schafft auch hier in unserer Metropole tiefgreifende politische, wirtschaftliche und soziale Krisen. Diese sind auch in unserem Stadtteil spürbar.
Der fortschreitende soziale Abstieg und die noch größere Bedrohung jenes Abstiegs für weite Teile der lohnabhängigen Bevölkerung, der (Schein-)Selbstständigen sowie der Klein- und Kleinstunternehmer:innen (die sich und die Arbeitskraft von wenigen ausbeuten), befeuern die Faschisierung weiter Teile der Gesellschaft. Der Staat rüstet auf, baut demokratische und soziale Rechte ab, hetzt gegen Migrant:innen, Geflüchtete, Erwerbslose, kurzum: gegen unten. Dazu gesellen sich faschistische Kräfte, die den schon von oben begonnenen reaktionär-militaristischen Staatsumbau weiter vorantreiben wollen.
Die Feststellung Karl Liebknechts bleibt aktuell: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Es ist das Kapital hierzulande, das uns unterdrückt, nicht die arbeitenden Klassen anderer Länder, gegen die wir in die Schützengräben geschickt werden, die wir als Teil unserer Klasse diskriminieren sollen. Unsere Arbeit ist somit eine unermüdliche Arbeit gegen die Hetze, Lügen sowie Verblendungen der Profiteur:innen dieser Ausbeutungsmaschinerie.
Diese Krisen drängen dazu, sich an der Entwicklung und am Aufbau einer ernsthaften sozialistischen Perspektive zu beteiligen. In der Verbindung mit unserer Praxis arbeiten wir an der Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen zum Verständnis des neoliberalen Kapitalismus und der Frage, wie wir uns schlagkräftig organisieren. Wir halten fest: Unsere Praxis ist organisch eng verknüpft mit den Widersprüchen, mit denen unsere Klasse in ihrer Diversität zu kämpfen hat.
Hier in Berlin und in unserem Stadtteil führen wir die politischen, sozialen und kulturellen Kämpfe für eine menschliche Welt. Gemeinsam stehen wir für eine lebendige und zeitgemäße sozialistische Praxis, die den lokalen, nationalen und internationalen Austausch und Vernetzung der fortschrittlichen Kräfte befördert. Wir laden dazu ein, sich am „Kampf der Ideen“ (Fidel Castro) von links zu beteiligen, um die chauvinistische Rechtfertigung für Ausbeutung und Unterdrückung effektiv zurückweisen zu können und gemeinsam für eine sozialistische Welt zu streiten.
Wir kämpfen gemeinsam!