Am 23. März 2017 soll es wieder passieren: die Neuwahl einer Stadtteilvertretung steht bevor. Geworben wird mit Beteiligung an politischen Prozessen im Wedding – doch was und wer steckt dahinter?
Als sich die dritte Stadtteilvertretung „mensch.müller“ Ende 2014 gründete, waren über 100 Personen im Walter-Rathenau-Saal des Rathaus Wedding versammelt. Die bisher weitaus größte Wahlveranstaltung für dieses Gremium. Unter den seit längerer Zeit bekannten Gesichtern, waren auch zahlreiche neue Personen vertreten, die sich in die stadtteilpolitischen Entscheidungen in ihrem Kiez einmischen wollten.
Während in den vergangen Wahlperioden stets nur eine feste Anzahl an Stadtteilvertreter*innen gewählt werden durfte, wurde stillschweigend die Anzahl der zu wählenden Personen um quasi alle anwesenden erhöht – vermutlich, damit die bislang widerstandslose Selbstwahl der „alteingesessenen“ Stadtteilverter*innen nicht zu gefährden. Das wirft jedoch die Frage auf, nach welchen Prinzipien diese Scheinbeteiligung überhaupt stattfindet und wer jene nicht vorhandende „Wahlordnung“ vordiktiert.
Schon die Zielgruppen dieser selbsternannten Stadtteilvertretung erscheinen bei Betrachtung der „mensch.müller“-Webseite kurios:
Bewohner*innen, Immobilieneigentümer*innen, Gewerbetreibende, (soziale) Einrichtungen und Kiez-Initiativen können Teil dieser Vertretung sein. Da fragen wir uns natürlich, wo vor dem Hintergrund der allseits bekannten Verdrängungsprozesse beispielsweise eine Schnittmenge zwischen Mieter*innen und Eigentümer*innen bestehen könnte?
Das auf der Homepage veröffentlichte Organigramm verrät dabei ganz offen und ehrlich: hier kann nichts[!] mitbestimmt werden. [1] Lediglich die Sprecher*innen dieser Mitmachfalle tauschen sich mit der Bezirkspolitik und ihren Ämtern aus. Was am Ende dabei rauskommt ist die Illusion, eben jene Bezirkspolitik im Mikro-Rahmen beeinflussen zu können. Die Frage, warum diese Stadtteilvertretung überhaupt aufgebaut wurde, liegt auf der Hand. „mensch.müller“ ist Teil des Bauprogramms „Aktive Zentren“, welches als „Aktives Zentrum Müllerstraße“ vom Bund und Land durchgeführt wird. Das Ziel ist, Geschäftsstraßen durch Strukturprogramme in Form von Millionenbeträgen aufzuwerten. Dies passiert durch Umgestaltung von Parkanlagen, Straßenführungen und versuchtem Druck von Stadtplanungsbüros auf Immobilieneigentümer*innen an gewisse Gewerbe nicht weiter zu vermieten (z.B. Wettbüros, Casinos, etc.).
Dabei steht natürlich die Nachbarschaft nicht mit ihren Problemen, wie den immer weiter steigenden Mieten und die sich daraus ergebenden Mietschulden, die derzeit realisierten Neubauten jenseits bezahlbarer Wohnungen, etc., auf der Agenda. Vielmehr steht die Aufwertung und Attraktivitätssteigerung von Gewerberäumen und -umgebungen und die damit verbundende Gewinnmaximierung von Gewerbetreibenden – und perspektivisch der Immobilien-und Wohnungseigentümer*innen – im Fokus.
Dass sich diese Bemühungen mit den allgemeinen Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen bei Mietwohnungen und ihren Bewohnenden verzahnen, bezeugt schon die Überlegung, wer sich denn die erdachten, neu angesiedelten Konsumangebote überhaupt leisten kann und „darf“.
Im Wedding ist das Moabiter Stadtplanungsbüro „Jahn, Mack und Partner“ in diesen Prozessen federführend, welches viel Geld mit Analysen und Konzepterstellungen verdient. Auch eine neoliberale Stadtumstrukturierung will in diesem Land wohl gut geplant sein.
Die beschriebene Stadtteilvertretung ist ein gutes Beispiel, wie diese Prozesse nach außen hin scheinbar demokratisch legitimiert werden müssen. Da passt es nicht in die Simulation der „Bürgerbeteiligung“, wenn das Feigenblatt dieser unsozialen Stadtumstrukturierung über ein Großteil der letzten zwei Jahre schlicht nicht arbeitete. Die intransparente Scheinbeteiligung musste aufrecht erhalten werden, bis es nun schließlich unhaltbar war, da kaum Personen an den verabredeten Sitzungen teilnahmen. Im Zuge sogenannter „Bürgerbeteiligungen“, sollen die Stadtumstrukturierungen den Anschein haben, als wenn diese gegenüber den Bewohner*innen gut kommuniziert und bekannt gemacht im Kiez existieren würden. Das Gegenteil ist der Fall – Pseudo-Gelegenheiten, wie Infotische am Leopoldplatz, die offene Sprechstunde im Stadtteilbüro oder die Einladung in Arbeitsgruppen zu kommen, um so Einfluss auf die herrschende Landes- und Kommunalpolitik zu nehmen, werden schon längst nicht mehr von Weddinger*innen wahrgenommen. Eine reale Partizipation hätte konkrete Folgen in der Umgestaltung der Kieze. Dies bedingt jedoch eine wirkliche Möglichkeit der Artikulation von Problemen und Ideen der Kiezbewohner*innen.
Dies ist im Rahmen des millionenschweren Förderprogramms jedoch nicht vorgesehen. Während Stadtplaner*innen, kapitalstarke Gewerbetreibende und Immobilieneigentümer*innen sich am mit Geld gut gefüllten Trog bedienen wollen, wird Widerspruch nicht geduldet.
Statt sich der Konflikte im Kiez anzunehmen, wurde beispielsweise ernsthaft darüber debattiert, wie die Abschnitte der Müllerstraße um den U-Bhf. Rehberge für neues Gewerbe attraktiver angeboten und bestehende Gewerberäume aufgewertet werden können.
Das mag schon makaber anmuten, wenn dort um Häuserkäufe von Immobilien-Spekulant*innen gebuhlt wird währed die Angst vor weitreichenden Mieterhöhungen schon längst Alltag unter den Kiezbewohner*innen geworden ist. Zudem wurde bei Sitzungen versucht, „unbequeme Themen“ wie die Kritik der unsozialen Stadtaufwertung auszubremsen. „Dies ist hier nicht der richtige Ort dafür“, wurde den neuen Stadtteilvetreter*innen von den „alteingesessenen“ Personen entgegengebracht. In weiteren Sitzungen schlossen sich dann Diskussionen um Begrüßungssets aus Flyern und kleinen Accessoires an, welchen Neu-Weddinger*innen bei der Ummeldung zugesendet werden sollten. Dass damit die asylsuchenden Neu-Weddinger*innen in den Lagern und anderen unmenschlichen Unterkünften nicht bedacht wurden, ist wohl hinfällig zu erwähnen.
Wenn die initiierte Stadtteilvertretung kein kritisches Gremium darstellt oder Raum für Kritik bietet, offenbart es den Charakter der Mitmachfalle. Attraktiver ist daher die Politik an der Basis, außerhalb von Parteien und Parlamenten, im Prozess von solidarischer Selbstorganisierung hin zu einer kommunalen Selbstverwaltung.
Das Ritual der angeblichen Bürgerbeteiligung wird auch im März 2017 im Paul-Gerhardt-Stift an der Müllerstraße wieder über die Bühne gehen. Wir hoffen, dass möglichst wenige Menschen diesem Schauspiel um Mitbestimmung erliegen. Wer die Prozesse im Kiez tatsächlich mitgestalten will, sollte lieber die bestehenden kritischen Basisorganisationen unterstützen und die Vernetzung im Kiez suchen. Denn wer sich an der Stadtteilvertretung beteiligt, ist -freiwillig oder unfreiwillig- nur ein Stück Garnitur im Schnäppchenmarkt der Scheinmitbestimmung. Mit dieser Garnitur jedenfalls, wird leider immer noch zu häufig die Durchsetzung kapitalistischer Interessen begründet.
Hände weg vom Wedding im März 2017
[1] Organigramm und Selbstverständnis hier abrufbar:
Bestehende Basisorganisierungen im Wedding:
Erwerbsloseninitiative Basta:
Lager Mobilisierung Wedding:
Stadtteilpolitische Gruppe „Hände weg vom Wedding“:
Interbrigadas – internationalistische Solidarität aus dem Wedding:
Basisgewerkschaft FAU – Freie Arbeiter*innen Union:
Berlin Postkolonial e.V.:
Each One Teach One e.V.:
…und viele weitere Initiativen, Gruppen und Zusammenschlüsse