‚Mensch.Müller!‘ – Preisgekröntes Scheinbeteiligungs-Trauerspiel unter Repression

1. Akt – Wasser auf ‚mensch-müller’s Mühlen…

Ungefähr drei Wochen vor der Neuwahl der „mensch.müller-Stadtteilvertretung“ am 23. März 2017, in Berlin-Wedding, versuchten wir von der Stadtteilinitiative ‚Hände weg vom Wedding‚ mit einem ersten analytischen Text zu zeigen, aus welchen Gründen die mittlerweile neu gewählte Stadtteilvertretung ebenfalls zum Scheitern verurteilt ist. Wir argumentierten, lieber weiterhin auf eine selbstbestimmt-basisdemokratische Selbstorganisierung zu setzen, anstatt als Teil einer neoliberalen Mitmachfalle zu agieren, deren Folgen die Legitimation der systematischen Aufwertung und unsere Verdrängung aus der Nachbarschaft sein werden – ohne jedoch die sozialen Probleme unseres Kiezes anzugehen. Jene Analyse wurde jedoch vom stellvertretenden Sprecher der alten und längst aufgelösten Stadtteilvertretung, Walter Frey, verkannt, da ihm offensichtlich unsere systematische Kritik nicht bewusst wurde, die ihm im Gegenzug zur einer ellenlangen Stellungnahme veranlasste. In dieser ging er nicht auf die grundsätzliche Kritik ein, die unserer Analyse folgte: Die Stadtteilvertretung ist und bleibt in ihrer immer noch existierenden Form ein falsches, gefährliches und kapitalgesteuertes Mitmach-Trauerspiel. Für uns ist dieses Theater damit illegitim!

Auf die Stellungnahme von Frey gingen wir mit einem zweiten Text ein – mit der nicht allzu großen Hoffnung, dass dieser die Kritikpunkte etwas verständlicher vermitteln würde. Damit dies nicht nur virtuell stattfindet, luden wir andere kritische Gruppen und Einzelpersonen ein, zusammen mit uns, dieser Tragikomödie von einer Stadteilvertretungs-Neuwahl kritisch beizuwohnen.

Jene harmlose Einladung ging dann genauso direkt, per Telefon, Social-Media-Benachrichtigungen und Mailinglisten an ihre Adressat*innen – jedoch nicht öffentlich. Welche Reaktionen diese recht gezielten Einladungen seitens des Bezirks und ihrer Organe auslösten, ist eine gute Beweisführung für eine andere Analyse, die wir kürzlich über die aktuelle Scheindebatte um die „Politik der Sicherheit“ in Berlin lieferten. Darin wurde aufgezeigt, dass jene öffentlich panisch geführte Debatten um „öffentliche Sicherheit“, sich letztlich immer noch in erster Linie um die kaptialunterstützende Sicherheit und gleichzeitig um die Unterdrückung der laut werdenden, kritischen  Stimmen dreht. Anstatt sich radikal in einen demokratischen Prozess für eine allgemeine und soziale Sicherheit für alle zu begeben, werden die kapitalistischen Ursachen für soziale Widersprüche und Gewalt verschwiegen.

Was kostet eigentlich ein demokratisches Selbstbegräbnis?

2. Akt – die Gefahren einer kritischen „Demokratie“…

Der Treffpunkt für unsere Einladung befand sich, Punkt 19 Uhr, auf dem nicht allzu versteckten Bürgersteig vor dem ‚Real‘-Supermarkt, an der nicht allzu abgelegenen Müllerstraße. Von dort aus sollte es zum Ort der Wahl, dem Paul-Gerhardt-Stift gehen. Eine Nachbarin, die vorher dort einkaufen war, sagte uns, dass die Zivilpolizisten, die auch bei unserem Zusammentreffen herumliefen, schon eine Stunde vorher vor Ort waren, um nach irgendwelchen „Aktionen“ Ausschau zu halten. Kaum wollte sich die kleine Gruppe, bestehend aus ca. 15 Personen, auf den Weg machen, mussten wir feststellen, dass „urplötzlich“ ein Mannschaftswagen der Berliner Polizei direkt vor dem Markt anhielt. Deren herausstolpernde Beamt*innen versuchten unsere Gruppe einzuschüchtern und voneinander zu trennen. Einige Personen ahnten, welch ein repressiver Schwachsinn bevorstand und entschieden sich, demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, um der Polizei deutlich zu machen, dass sie keine Lust auf ihr lächerliches und stigmatisierendes Verhalten haben.

Die andere Hälfte der Gruppe setzte unbeirrt ihren Weg zu einer angeblich demokratischen Wahl fort, musste aber wiederum feststellen, dass eben jener Polizeiwagen hinterher fuhr, um abermals vor der Gruppe anzuhalten. Die erneut herausstolpernden Beamt*innen bauten sich als eine Mauer vor der Gruppe auf. Der Polizei-Einsatzleiter (Dienstnummer: 11101) behauptete, „dass es in den einschlägigen Medien davon berichtet wird, dass Sie die Wahl stören werden“ und er uns deshalb „fragen muss, ob Sie tatsächlich dahin gehen möchten?“. Die Antwort auf seine gelogene Behauptung und irrelevante Frage war, dass „er eine Medienseite nennen solle, die seine Aussage bestätige“, was er erwartungsgemäß nicht beantworten konnte, woraufhin er unsere zweite Antwort zu hören bekam, dass es „ihn nichts angehe, wohin wir gehen wollen“. Daraufhin wurden wir nach seinem Entschluss der „Gefahrenabwehr“ dazu gezwungen uns Kontrollen zu unterziehen. Für den Fall der Fälle das „falls Sie doch eine Störaktion starten, ihre Daten registriert sind“ so der Einsatzleiter.

So weit, so stumpfsinnig, denn wenn es eine Störkation gegeben hätte, wäre der Polizei-Einsatz im Sinne einer „Gewaltprävention“ nutzlos gewesen. Festzuhalten ist: der erfolgte Einsatz war wahrlich nicht klein und billig: Es wurden mindestens drei Wannen und zwei „zivile“ Autos beobachtet. Zudem sei zu erwähnen, dass sowohl mit uns zwei weitere Personen aufgehalten und willkürlich kontrolliert wurden. Begründet wurden diese Schikanen damit, dass „auch Sie ins Raster passen“. Auf Nachfrage wurde die spezifische Bedeutung dieses Rasters nicht geklärt. Sie „tun nur ihren Job“: das hätten wir uns auch denken können. Nach ca. 40 Minuten dieser Schikanen, „durften“ wir endlich gehen, um die bereits laufende Wahl zu besuchen. Das allerdings nur zusammen mit mindestens drei Zivil-Polizisten, die uns bis in den Saal hinein verfolgten, während ihre uniformierten Kolleg*innen, machtlos mit unseren Personalien, draußen bleiben mussten.

„en bloc“

3. Akt – Juhuuu! Schnittchen und Verdrängung für alle!

Angekommen im Saal, um ca. 20 Uhr, mussten wir zusehen, wie der Zeremonienmeister der Wahlordnung, natürlich vom Stadtplanung- und Verdrängungsbüro ‚Jahn, Mack & Partner‚ aufgestellt, mehr schlecht als recht versuchte den hohlen Schein der Stadtteilvertretung mit neoliberalen Phrasen und Schnittchen zu bewirtschaften. Und das zeitgleich, während mindestens zwei der alten Stadtteilvertreter in ihren Reden versuchten sehr unterschwellige Kritik an die bestehende Stadtteilvertretung auszuüben – oh Wunder! Hatten die „Mensch Müller!“ Texte doch etwas bewirkt?! Nein, ihre Kritik wurde genauso „mitmach-fröhlich“ ignoriert, wie die Tatsache, dass ein offizieller Pressevertreter der ‚Berliner Woche‘ von den drei Zivilpolizisten aus dem Saal geholt wurde, weil er ihre Anwesenheit fotographisch dokumentierte.

Als wir diese Presse-Repression lautstark im Saal ansagten, würgte uns der Moderator ab und machte eiskalt mit dem Programm weiter. Ein anderer Pressefotograf sprach dann den Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne, Berlin-Mitte) persönlich an, um gegen diesen Angriff auf die Pressfreiheit einzuschreiten. Von Dassel verließ den Saal, um mit den Zivilpolizisten zu sprechen – die Vermutung liegt nah, dass sein Wort mehr wiegt als der eines Presseausweises.

Nach der zeremoniellen Selbstverherrlichung der Stadtteilvertretung durch den Moderator, ging es weiter zum Hauptteil der Neuwahl: die künftigen Stadtteilvertreter*innen wurden namentlich aufgerufen und durften sich kurz vorstellen. Manche machten es schlecht, und manche schlechter: „Ich stelle mich zur Wahl, weil ich hier wohne und gerne einkaufe“. Besser machten es dann noch ein Drittel der Kandidat*innen, die erst gar nicht zur Wahl erschienen, weil sie vermutlich wussten, dass alles ohnehin mit Handzeichen und „en bloc“ durchgeführt wird. Das bedeutet, dass nur darüber abgestimmt wurde, ob alle Kandidaten gewählt sind oder nicht. Ob sie wissen, worauf sie sich eingelassen haben? Wir werden es spätestens dann herausfinden, wenn die Gremien der neugewählten Stadtteilvertretung wie ihre Vorgängerin auseinanderfallen und eventuell eine weitere Neuwahl herbeizwingen. Immerhin konnten wir dem Bezirksmeister von Dassel, der als politischer Vertreter und Profiteur dieser sozialen Mitmachfalle anwesend war, die „Goldene Mitmachfalle des Weddings samt Frei-Käse“ aushändigen, die er dann später fröhlich-posend mit einem frischgewählten Stadtteilvertreter auspackte. Der Aspekt, dass er weder Mitmachfalle noch Käse berührte, ist eine Randnotiz.

Steile These: Verdrängung ist unser Käse.

4. Akt – Unsere Zukunft: von unten – für alle.

Bis dahin werden wir, als kritische Nachbar*innen und teils ehemalige Stadtteilvertreter*innen von Anfang an, und trotz solcher lächerlichen Polizei-Einschüchterungsversuche, Druck auf diese Mitmachfalle der Scheinpartizipation ausüben. Alle Menschen, die diesen kapitalistischen Mitmach-Zirkus ablehnen sind eingeladen, in den Kiezen gemeinsam eine Basis der solidarischen Selbstorganisierung zu bilden und weiter aufzubauen. Dafür gibt es hier im Wedding genug unterschiedliche Initiativen, die allzeit zu erreichen sind. Desweitern gibt es dieses Jahr wieder viele Termine und Gelegenheiten sich kennenzulernen und auf die Straßen zu gehen. Es gibt gesellschaftliche Perspektiven – arbeiten und diskutieren wir gemeinsam daran und setzten sie Stück für Stück in die Tat um!

Hände weg vom Wedding im März 2017

Termine:

Selber machen – Konferenz zu Basisorganisierung, Gegenmacht & Autonomie: 28.-30. April 2017 in Berlin

Antikapitalistische Kiezdemo: 30. April 2017, 16 Uhr am Leopoldplatz

Kennlern-Tresen von ‚Hände weg vom Wedding‘: Jeden ersten Donnerstag des Monats im Café Cralle

bestehende Basisorganisierungen im Wedding:

Erwerbsloseninitiative Basta:

http://basta.blogsport.eu

Lager Mobilisierung Wedding:

https://www.facebook.com/LagerMobiBerlin

Stadtteilpolitische Gruppe „Hände weg vom Wedding“:

https://haendewegvomwedding.blogsport.eu

Interbrigadas – internationalistische Solidarität aus dem Wedding:

http://www.interbrigadas.org

Basisgewerkschaft FAU-Freie Arbeiter*innen Union:

https://berlin.fau.org

Berlin Postkolonial e.V.:

http://www.berlin-postkolonial.de

Each One Teach One e.V.:

http://eoto-archiv.de

…und viele weitere Initiativen, Gruppen und Zusammenschlüsse.